Piccard: Drei Generationen im Dienst der Forschung

Piccard: Drei Generationen im Dienst der Forschung
Piccard: Drei Generationen im Dienst der Forschung
 
Nach dem Ersten Weltkrieg hätte niemand gedacht, dass von Ballonflügen noch irgendwelche bedeutenden Entwicklungen für die Technik ausgehen würden. In einer Zeit, in welcher der Zeppelin in der internationalen Luftfahrt zu dominieren begann und die ersten Leichtmetallflugzeuge am Himmel auftauchten (allerdings noch keine Konkurrenz zu den gigantischen Luftschiffen darstellten), stiegen die Zwillingsbrüder Auguste und Jean Félix Piccard mit ihren Ballons in den Himmel und beeindruckten die Welt mit unglaublichen Höhenrekorden. Die wissenschaftlichen Untersuchungen, die sie dabei durchführten, wurden dagegen nur von wenigen beachtet.
 
Knapp ein Jahrzehnt später stellte Auguste Piccard sein Forschungsinteresse gewissermaßen auf den Kopf: Zusammen mit seinem Sohn Jacques Piccard tauchte er in die Meere. Jacques erreichte schließlich im Marianengraben südöstlich von Japan eine Tiefe von 10 916 Metern. Die Familientradition wurde schließlich von Bertrand Piccard, dem Sohn von Jacques und Enkel von Auguste, fortgesetzt, der im Frühjahr 1999 als Erster die Welt nonstop in einem Ballon umrundete.
 
 Auguste und Jean Félix Piccard
 
Auguste Piccard und sein Zwillingsbruder Jean Félix wurden am 28. Januar 1884 im waadtländischen Lutry am Genfer See als Söhne des Chemikers Jean Piccard geboren. Da der Vater eine Stelle als Dozent an der Universität Basel innehatte, wuchsen die Brüder in Basel auf und absolvierten die dortige Oberrealschule. In ihrer Jugend entwickelten beide ein Interesse an Technik und Naturwissenschaften, was dazu führte, dass Jean Félix ein Studium der Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich begann, während Auguste Piccard in Basel die Studienfächer Maschinenbau und Physik belegte und erst später an die ETH wechselte.
 
Jean Félix Piccard schloss sein Studium bereits 1907 ab und promovierte 1909 an der ETH, wo er bis 1914 eine Assistentenstelle innehatte. 1914 wechselte er zunächst als Dozent nach München, ging bald darauf aber in die Schweiz zurück, und zwar nach Lausanne, wo er bis 1925 an der Universität lehrte. Bereits von 1916 bis 1918 hatte er sich an der University of Chicago aufgehalten, 1925 ging er erneut in die USA und nahm 1931 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Bis zu seiner Emeritierung 1952 war Jean Félix Dozent für Luftfahrt an der University of Minnesota in Minneapolis, wo er am 28. Januar 1963 starb.
 
Auguste Piccard beendete sein Studium an der ETH 1910. Während der nächsten Jahre war er zunächst Assistent und ab 1915 Privatdozent an der ETH. 1917 erhielt er dort eine Professur und heiratete 1919 Marianne Denis. Drei Jahre darauf wechselte Auguste als ordentlicher Professor an die Universität Brüssel, wo er bis zu seiner Pensionierung 1954 tätig blieb. Er starb am 25. März 1962 in Lausanne.
 
 Jacques Piccard
 
Jacques Ernest-Jean Piccard wurde am 28. Juli 1922 in Brüssel geboren, wo sein Vater Auguste Piccard soeben seine Stelle als Professor angetreten hatte. Er besuchte daher zunächst Brüsseler Schulen, siedelte aber später in die Schweiz über und beendete seine Schulausbildung 1943 in Lausanne. Nach der Schulzeit begann er mit dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Genf, das er jedoch zwischen 1944 und 1945 unterbrach, um in der französischen Armee de Gaulles zu dienen. 1945 kehrte er an die Universität zurück und erhielt 1946 sein Lizenziat. Zwei weitere Jahre lang blieb er als Dozent an der Genfer Universität, bis er — zunächst im Rahmen von Finanzierungsverhandlungen für die Tiefseeprojekte seines Vaters — immer stärker in dessen Unternehmungen eingebunden wurde.
 
 Höhenflüge
 
Obwohl sich Jean Félix und Auguste Piccard in späteren Jahren nur selten sahen, blieben sie doch in engem Kontakt und nahmen jeweils Einfluss auf die flugtechnischen Entwicklungen des anderen. Beide Brüder hatten 1913 zum ersten Mal an einer Ballonfahrt teilgenommen, die aber noch weit von ihren späteren Rekordflügen entfernt war.
 
Auguste Piccard arbeitete als Physiker unter anderem über die erst kurz zuvor entdeckte Höhenstrahlung, die heute als kosmische Strahlung bezeichnet wird. Zu Piccards Zeit war über diese aus dem Weltraum stammende hochenergetische Teilchenstrahlung noch kaum etwas bekannt. Da sie von den dichten unteren Schichten der Erdatmosphäre weitgehend absorbiert wird, kann man sie am Erdboden auch nicht untersuchen. Piccard griff in den 1920er-Jahren die unter anderem von seinem Bruder und dem deutschen Geophysiker Alfred Wegener (1880—1930) bereits vor dem Ersten Weltkrieg praktizierte Idee auf, mittels Ballons Instrumente in große Höhen zu transportieren. So konnte er die Höhenstrahlung weitgehend unbeeinflusst von der atmosphärischen Absorption untersuchen, er erreichte dabei deutlich größere Höhen als seine Vorgänger. Mithilfe des belgischen nationalen Stiftungsfonds und seines Assistenten Cosyns bereitete er einen Ballonaufstieg vor. Nach einem ersten missglückten Versuch gelang den beiden Forschern am 27. Mai 1931 der Aufstieg in eine Höhe von 15 781 Metern. Einige Monate später übertraf Auguste seinen Rekord noch einmal und stieg bis in 16 940 Meter Höhe auf.
 
1934 folgte Jean Félix dem Vorbild seines Bruders und stieg zusammen mit seiner Frau in den USA in eine Höhe von 17 672 Metern auf. Die weiteren Verdienste von Jean Félix liegen im Bereich der Luftfahrt, etwa in der Entwicklung von Druckluftsystemen für Flugzeuge, kunststoffbeschichteten Ballonhüllen, in der kombinierten Verwendung mehrerer kleiner Ballons sowie in der Entwicklung einer frostfreien Scheibe für Höhenballons und Flugzeuge.
 
Die wesentlichen Bestandteile von Augustes Ballon sind bis heute bei derartig extremen Ballonfahrten fast unverändert in Gebrauch: Piccard nutzte eine druckfeste kugelförmige Kabine, die von Pressluftflaschen mit Luft versorgt wurde und zwei Ballonfahrern Platz bot. Die Ballonhülle bestand aus einem reißfesten Stoff (Ballonhüllen aus Kunststoff wurden erst einige Jahre später von Jean Félix erprobt) und war nur teilweise mit Gas gefüllt. Beim Aufstieg durch die Atmosphäre, deren Druck mit der Höhe exponentiell abnimmt, dehnt sich das Füllgas immer mehr aus und sichert so den Auftrieb, der für das Erreichen großer Höhen notwendig ist.
 
 
Mit dem Ende der 1930er-Jahre wandte sich Auguste, der sich aus seiner Jugendzeit ein Interesse an Meeresbiologie bewahrt haben soll, der Tiefseeforschung zu. Seine Erfahrungen durch die Ballonfahrten kamen ihm dabei zu Hilfe, denn er konstruierte eine Tiefseetauchkapsel, die genau nach demselben Prinzip wie ein Ballon arbeitete. Nur musste sie nun darauf ausgelegt werden, im dichteren Medium Wasser zu arbeiten und extrem großen äußeren Druck auszuhalten.
 
Der große Vorteil von Piccards Konstruktion bestand nicht nur in der großen Tiefe, in die er mit ihr vordringen konnte. Seine Tauchgeräte waren auch frei beweglich. Der große Unterschied zu einem herkömmlichen Unterseeboot lag darin, dass Piccards Tauchkugeln in Tiefen vordringen sollten, die kein U-Boot mehr erreichen konnte — auch heute noch nicht! Die Tauchkapseln, die zu seiner Zeit in die Tiefe gelassen wurden, wobei die Rekorde bei einigen Hundert Metern lagen, mussten immer von einem Mutterschiff aus mit Sauerstoff versorgt werden, waren also nicht frei beweglich. Dies schränkte ihre Verwendung natürlich stark ein und wegen Unterwasserströmungen musste das Mutterschiff immer sehr vorsichtig manövrieren, um die empfindliche Tauchkugel und die Versorgungsleitungen nicht zu gefährden.
 
 
Auguste begann bereits 1939 mit den Vorarbeiten für seine Tauchexperimente. Der Zweite Weltkrieg unterbrach jedoch zunächst einmal die Forschungsarbeiten. Als er 1945 seine Arbeiten wieder aufnahm, gelang ihm 1948 der Bau seines ersten tiefseetauglichen Tauchgeräts, des »Bathyscaphe« (von griechisch bathys: tief und skaphe: Gefäß, Boot).
 
Es bestand ähnlich wie Piccards Ballon aus einer druckfesten Kabine, die lediglich Platz für zwei Taucher bot. Über dieser Tauchkugel befand sich ein etwa zylindrischer Schwimmkörper von 15 Meter Länge und 3,5 Meter Breite. Gefüllt war dieser Schwimmkörper aber nicht mit Luft, sondern mit Benzin, da es unter dem Druck in großer Tiefe weniger komprimiert wird als Luft.
 
Sobald der Bathyscaphe sank, sorgte der Wasserdruck dafür, dass das Benzin komprimiert wurde. Den dadurch frei werdenden Raum nahm Wasser ein, das durch Ventile einströmen konnte. War das Gefährt am Grund angekommen, warf es einige Tonnen Schrott ab und erhielt so den notwendigen Auftrieb für den Wiederaufstieg zur Wasseroberfläche. Durch Pressluft konnte ein Teil des Wassers herausgedrückt werden, was den Aufstieg erleichterte.
 
Der erste unbemannte Tauchversuch von Piccards Bathyscaphe erfolgte 1948 im Golf von Guinea vor Westafrika bei einer Wassertiefe von etwa 1 400 Metern. Er wurde ein Fehlschlag. Die Tauchkugel blieb zwar völlig unbeschädigt, der Schwimmkörper schlug aber leck und nahm an der Wasseroberfläche so viel Wasser auf, dass er unbrauchbar wurde.
 
Piccards Tauchexperimente schienen nun beendet zu sein, denn seine Finanzmittel waren aufgebraucht und weitere Gelder waren nicht in Sicht.
 
Jacques greift ein
 
Nun kam Jacques Piccard ins Spiel, der zu diesem Zeitpunkt eine Studie für ein Triester Industrieunternehmen durchführte. Er hatte bereits früher Verhandlungen mit der französischen Marine durchgeführt, die einen Teil der Mittel für den Bau des ersten Bathyscaphe bereitgestellt hatte. Durch seine Vermittlung konnten neue Gelder zum Bau eines verbesserten Schwimmkörpers eingeworben werden. Diese zweite Version des Bathyscaphe erhielt den Namen »Trieste« und erreichte im September 1953 bei 3 150 Metern den Grund des Tyrrhenischen Meeres.
 
Auguste gab nun seine Position an der Universität auf und konzentrierte sich ganz auf die Konstruktion und den Bau von Tauchgeräten. Auch Jacques nahm immer mehr an diesen Aktivitäten teil. Erstes Zwischenziel war der Bau einer neuen Tauchkugel, die noch höheren Wasserdruck aushalten sollte. Die finanziellen Mittel dafür erhielten sie durch den Verkauf der Trieste an die amerikanische Marine. Aus dem Erlös ließen sie sich bei Krupp in Essen eine neue Tauchkugel fertigen, die nach einem damals neuartigen Verfahren gefertigt wurde. Sie bestand unter anderem aus drei und nicht mehr wie früher aus zwei Kugelsegmenten, die mit einem neuartigen Stahlkleber verbunden wurden.
 
Auguste Piccard tauchte mit diesen neuen Gefährten nicht mehr selbst. An seiner Stelle gingen 1960 Jacques Piccard und Don Walsh in die Tiefe und erreichten südöstlich von Japan und östlich der Philippinen in der Witjas-I-Tiefe des Marianengrabens — im Gebiet der heutigen Föderierten Staaten von Mikronesien — eine Tiefe von 10 916 Metern. (Andere Quellen geben Werte zwischen 10 910 und 10 924 Meter an; der tiefste Punkt des Grabens und damit die nicht weit entfernte tiefste Stelle der Erdoberfläche liegt — je nach Quelle — 11 020 bis 11 034 Meter unter dem Meeresspiegel.) Dort tauchten zu ihrer Überraschung plötzlich ein Fisch und eine Garnele im Kegel des Scheinwerferlichts auf und beantworteten so die lange diskutierte Frage, ob der immense Druck und niedrige Sauerstoffgehalt in dieser Tiefe Leben überhaupt noch zulassen.
 
Nach Augustes Tod
 
Auguste und Jacques Piccard konstruierten auch weiterhin Tauchboote, bis Auguste 1962 verstarb; seitdem führte Jacques die Familientradition allein fort. Zu seinen vielen Konstruktionen gehörte auch der Bau eines für den Tourismus konzipierten Unterseeboots, das vierzig Passagiere aufnehmen konnte. Es kam während der Schweizer Landesausstellung 1964 zum Einsatz und führte über 30 000 Passagiere auf den Grund des Genfer Sees, wo die Touristen allerdings nicht viel mehr zu sehen bekamen als Schlamm.
 
Zwischen 1966 und 1971 verband Jacques Piccard seine Tauchinteressen mit einer Beratertätigkeit für verschiedene amerikanische Unternehmen. Während dieser Zeit, im Sommer 1968, nahm er an einer mehrwöchigen Tauchfahrt teil, die an der amerikanischen Ostküste entlangführte und dem Verlauf des Golfstroms nachspüren sollte. Auch nach Ende seiner Beratertätigkeit widmete sich Jacques Piccard dem Tauchen, konzentrierte sich nun aber auf Binnengewässer, wo seine Tauchboote im Rahmen von Forschungsarbeiten zur Gewässerverschmutzung eingesetzt werden. In seiner Heimatstadt Lausanne ist er bis heute an der von ihm gegründeten Stiftung zum Studium und zum Schutz der Meere und Seen tätig.
 
Obwohl die Piccards mit dem Bathyscaphe einen spürbaren Anstoß zur Erforschung der Tiefsee gaben, hat die technische Entwicklung ihre Ansätze weit hinter sich gelassen. Heutige Tiefseetauchboote sind zumeist unbemannt, stattdessen erlauben ausgeklügelte Computersysteme eine präzise Fernsteuerung. Sie erreichen zwar nur selten die Tiefe des Marianengrabens, da aber die durchschnittliche Tiefe des Meeresbodens etwa vier Kilometer beträgt, ist dies in den meisten Fällen auch gar nicht notwendig.
 
Eingesetzt werden sie zur Erkundung von Rohstoffvorkommen im Weltmeer, wo man in Form der Manganknollen große noch ungenutzte Reserven an metallischen Rohstoffen vermutet beziehungsweise auch schon gefunden hat. Aber auch zur Suche nach gesunkenen Schiffen und zur Untersuchung ihres Zustands werden diese Boote eingesetzt. Spektakulärster Erfolg in dieser Richtung war 1985 die Entdeckung des Wracks der Titanic in 3 600 Metern Tiefe, weniger publikumswirksam ist dagegen die Suche nach gesunkenen Unterseebooten.
 
 Neue Höhenflüge: Bertrand Piccard
 
Die Pionierarbeiten von Auguste und Jean Félix Piccard ließen in der Ballonfahrt nur wenig Neues zu entdecken übrig. Höhen von weit über zwanzig Kilometer werden mit den immer noch oft genutzten Stratosphärenballons erreicht, noch größere Höhen sind mittels Forschungsraketen zugänglich. Was die Ballonfahrt allerdings noch nicht erreichen konnte, war eine Non-Stop-Umkreisung der Erde.
 
Auch aufgrund eines Wettbewerbs entbrannte in den 1980er- und 1990er-Jahren ein Wettlauf um den Ruhm, diese Umkreisung als Erste zu erreichen. Nach zahlreichen Anläufen waren im Frühjahr 1999 ein britischer (Brian Jones) und ein Schweizer Ballonfahrer erfolgreich: Bertrand Piccard, der am 1. März 1958 geborene Sohn von Jacques Piccard. Von Beruf Psychiater, hatte er schon mehrere Ballonflüge unternommen, unter anderem eine Atlantiküberquerung, bei der er seinen Kopiloten zur Beruhigung regelmäßig per Hypnose in Schlaf versetzte. In dem Ballon »Breitling Orbiter 3«, dessen Konstruktion immer noch viele Elemente der Ballons von Auguste und Jean Félix Piccard aufwies, flogen Jones und Bertrand Piccard in etwa 19 Tagen und 21 3/4 Stunden 40 814 Kilometer von der Schweiz um die Erdkugel bis nach Ägypten.
 
Ausgabe
 
Bertrand Piccard u. Brian Jones: Mit dem Wind um die Welt (a. d. Engl., Lizenzausgabe München 1999)
 
 
Professor Piccards Forschungsflug in die Stratosphäre. Verlauf des Stratosphärenfluges und dessen wissenschaftliches Ergebnis, Beiträge von Auguste Piccard u. a. Augsburg 1931.
 Adelaide Field: Auguste Piccard. Captain of space, admiral of the abyss. Boston, Mass., 1969.

Universal-Lexikon. 2012.

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